Hegels Kunstkonzeption und die Simulationsästhetik in Virtual Reality
Die Ästhetik der VR krankt an einem inhärenten Problem des Framings: Anspruch an die Inhalte ist, so zumindest meine Beoachtung, nach wie vor eine möglich mimetische Abbildung der Wirklichkeit. Dieses Credo des Photorealismus, respektive des Naturalismus, ist gegenwärtig der “Benchmark” an dem Inhalte bewertet werden.
Tatsächlich ist diese Ästhetik jedoch, wie Esposito (S. 270) gezeigt hat, eher als Simulation und nicht als Virtualität anzusehen. Das Virtuelle interessiert sich nicht für eine singuläre Zuordnung von Zeichen und Referens, wie es im Naturalismus gegeben ist. Vielmehr geht es im Virtuellen um Potentiale. Diese Potentiale entstehen durch die Interaktion einer Rezipient:in mit den im Werk angelegten Unbestimmtheitsstellen.
Nachdem diese Ästhetik deutlich an die Funktionsweise der Kunst im Sinne Hegels erinnert, lese ich einmal mehr die Philosophie der Kunst oder Ästhetik, eine Mitschrift von Hegels Vorlesung aus dem Jahr 1826. Das Werk findet man bei der Bayerischen Staatsbibliothek im Volltext hier. Vermutlich muss sich VR erst als Medium von dem Diktat der Simulation befreien, indem es als Medium der Kunst wahrgenommen wird. Erst dann sind Inhalte möglich, die sich nicht an ihrem Potential zur Replikation der Natur messen lassen müssen.
Die nachfolgenden Zitate erscheinen mir besonders wichtig: Bereits Hegel stellt fest, dass das “Kunstschöne” und das “Naturschöne” nicht deckungsgleich sind.
Bei der Nachahmung des Natürlichen ist nur der Zweck, daß das Natürliche, wie es ist, unmittelbar nur dargestellt wird nach seiner äußerlichen Erscheinung, und es wird nur die Erinnerung befriedigt.
Hegel 2004: 10
Die Kunst wendet sich an unsere Vorstellung, Anschauung, und es ist gleichgültig, ob von wirklicher Existenz ausgegangen wird, oder von einer Vorstellung, die nur die [...] Kunst gibt.
Hegel 2004: 10
Hegel spricht auch über eine »Einheit der Vernunft und Empfindung« (Hegel 2004: 19), die er in der Philosophie von Schlegel fundiert. Auch Schiller referenziert er. Gerade in dessen 1795 erschienen Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen finden sich interessante Fragmente:
Wird der Formtrieb empfangend, das heißt, kommt die Denkkraft der Empfindung zuvor und unterschiebt die Person sich der Welt, so hört sie in demselben Verhältniß auf, selbständige Kraft und Subjekt zu sein [...]. Sobald der Mensch nur Form ist, so hat er keine Form, und mit dem Zustand ist folglich auch die Person aufgehoben. Mit einem Wort: nur insofern er selbständig ist, ist Realität außer ihm, ist er empfänglich; nur, insofern er empfänglich ist, ist Realität in ihm, ist er eine denkende Kraft.
Quelle: Schiller 1860: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Dreizehnter Brief. Volltext hier auf Google Books (Seite 49).